mask

Ohne Freiraum keine Jugendarbeit

Jugendverbandsarbeit versteht sich als Freiraum, damit Jugendliche ihre eigenen Erfahrungen selbstbestimmt und selbstorganisiert machen. Dieser Anspruch ist gesetzlich festgelegt (SGB VII § 11 und § 12) und konkret ist das gesetzliche Ziel, die Persönlichkeitsentwicklung von jungen Menschen zu fördern. Doch was ist damit in der Kinder- und Jugendarbeit gemeint?

Persönlichkeitsentwicklung – Dimensionen und Kategorien 

Die Persönlichkeitsentwicklung in der Kinder- und Jugendarbeit soll in drei Dimensionen und vier Kategorien erreicht werden. In den Dimensionen universelle Menschenrechte, Demokratie und allgemeine Fähigkeiten werden Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gefördert. Kinder und Jugendliche werden in ihrer „Persönlichkeit ausGEBILDET“ – sicher ist dies auch als Beitrag zur „mündigen Bürgerin“ und zum „mündigen Bürger“ zu verstehen. Wichtig zeigt sich dabei, dass dies nicht nur vermittelt wird, sondern dass sich Kinder und Jugendliche ihre Persönlichkeitsentwicklung aneignen und eigene Erfahrungen im Handeln machen.  

Neben den drei Dimensionen existieren vier Kategorien: Freiwilligkeit, Partizipation, Anerkennung und (sozialpädagogische) Bildung. Dies sind die Methoden, Muster oder das Vorgehen, wie Kinder und Jugendliche in der Persönlichkeitsentwicklung selbstbestimmt und selbstorganisiert in Freiräumen der Jugendverbandsarbeit agieren und lernen.  

Herausforderung für die Jugendfeuerwehren 

Das ist in der Tat für die Jugendfeuerwehren eine große und ungewohnte Herausforderung – zumindest für viele. Ein Jugendverband und somit auch eine Jugendfeuerwehr stellen somit den institutionellen Rahmen dar, in dem die Freiräume zur Persönlichkeitsentwicklung genutzt und erreicht werden können. Die Herausforderung beginnt bei den Betreuenden, den Jugendgruppenleitenden oder den Jugendfeuerwehrwartinnen und -warten, weil sie hierzu oft eine andere Rolle einnehmen müssen oder genauer sich ein anderes Verständnis von Jugend(verbands)arbeit aneignen und leben müssten. Denn in der neuen/ungewohnten Rolle nehmen sie sich selbst mit beispielsweise ihren Einstellungen zurück und begleiten und unterstützen die Kinder und Jugendlichen, damit sie sich ausprobieren und ihre eigenen Erfahrungen sammeln können. Doch oftmals leben sich eher die Erwachsenen aus und „verwirklichen sich“ als die Kids selbst! Daher gilt es, sich neuen Rollen anzunehmen und eher zu moderieren, begleiten und unterstützen.

Lest hierzu auch auf dieser Webseite:

Sicher besteht die Chance, dass sich durch voneinander Lernen oder Bildung unter Gleichen (Peer-to-Peer-Education) Ehrenamtliche ihre Fähigkeiten und Rollen antrainieren und auch verändern können. Oft sind diese vorgelebten Rollenmuster von jung auf an Kinder und Jugendliche bzw. auch an die Betreuenden selbst weitergegeben worden, doch die Gruppenleitungsrolle des Moderierens und sich zurückzunehmen sollte deutlich stärker in den Fokus genommen werden, statt bspw. frontal zu unterrichten oder autoritär.

Was heißen die Rollenveränderungen in der Praxis?

Zum Verständnis von Jugend(verbands)arbeit müssen die Ziele und Dimensionen sowie Umsetzungsmöglichkeiten verstanden sein, um sie anzuwenden und schrittweise an die Jüngeren weiterzugeben bzw. übertragen zu können.  

An drei etwas überspitzten Beispielen soll verdeutlicht werden, was es konkret heißt, eine teilhabegebende Rolle einzunehmen:  

  • Beim Ob, Wo, Wann und mit welchem Programm ein Zeltlager der Jugendfeuerwehr geplant, organisiert und umgesetzt wird, sollten die Kinder und Jugendlichen in allen Schritten beteiligt und in die Entscheidungen eingebunden werden. Wenn dies bisher die Betreuenden mit der Jugendfeuerwehrwartin oder dem Jugendfeuerwehrwart geleistet haben, fehlen die Partizipation, die Ermächtigungschancen, für eigene Belange selbst zu sorgen oder eigene Interessen zu entwickeln. Hier sind Fähigkeiten der Individuen ebenso betroffen wie Prozesse der Verhandlung und Entscheidung, die die Kinder und Jugendlichen lernen sollen. Zudem wollen und sollen die Kinder und Jugendlichen die Organisation ihres Zeltlagers wenigstens teilweise selbst in die Hand nehmen.  
  • Ein weiteres Beispiel bei der Verpflegung: Nicht die Gruppenleitung legt fest, dass gegrillt wird und was und grillt zudem auch noch selbst, sondern die Kinder und Jugendlichen, und vielleicht gehen sie sogar das Grillgut einkaufen.  
  • Oder beispielsweise bei Experimenten. Klar können und sollen auch Experimente demonstriert werden, manche müssen sogar von Erwachsenen vorgeführt werden (wie ein Fettbrand und der fatale „Löschversuch“ mit Wasser, was zu einer gefährlichen Stichflamme führt). Doch bei ungefährlichen Experimenten sollten die Kinder und Jugendlichen alles selbst erledigen und ausprobieren. Im Idealfall bestimmen sie (mit), zu welchem Thema Experimente durchgeführt werden.  

Die Dimensionen von Kinder- und Jugendarbeit 

Die Kinder- und Jugendarbeit hat das Potenzial, Kinder und Jugendliche dafür zu motivieren, diese Ziele und Dimensionen zu erreichen. Sie ist in der Lage, die angestrebte Mündigkeit oder die Persönlichkeitsentwicklung zu begleiten und zu unterstützen. Zu den Dimensionen als Zielsetzung und Garantie im Einzelnen.

Menschenrechte werden gewahrt und geschützt (als Dimension): 

Auch in den Jugendfeuerwehren gelten die Menschenrechte ebenso wie die Jugend- und Kinderrechte (nach UN-Kinderrechtskonvention). In den Kindergruppen und Jugendfeuerwehren wird das Wohl aller gewährt und geschützt. Rechte werden gelehrt, gelernt und gelebt.  

Demokratie wird geübt und ermöglicht (als Dimension): 

Demokratie ist eine moderne Lebensform, die die Freiheit individueller Entscheidungen und Handlungen sowie individueller Verantwortung ermöglicht, zudem die individuelle Gleichheit garantiert sowie Minderheiten schützt und Formen gesellschaftlicher Vereinigungen ermöglicht, d. h., kollektives und solidarisches Handeln auf eine freiwillige Grundlage stellt (zum Beispiel in/durch Jugendfeuerwehren). Letztlich leiten sich daraus auch Führungsrollen oder besser (demokratische) Leitungsverständnisse ab. 

Befähigung und Förderung der Kinder und Jugendlichen wird geleistet (als Dimension): 

Natürlich können Kinder und Jugendliche nicht alles, im Gegenteil. Das Ziel ist aber, sie in die Lage zu versetzen oder Rahmenbedingungen zu gestalten, wo sie sich ausprobieren und entwickeln können. So werden Fähigkeiten gelernt sowie Kinder und Jugendliche befähigt, für ihre Interessen und Belange einzutreten bzw. selbstbestimmt und selbstorganisiert Freiräume zu nutzen. Diese Dimension wird auch Capability Approach genannt. 

Globalziele und ihre thematische Untersetzung

Den drei Dimensionen Menschenrechte, Demokratie und Befähigung gilt es gerecht zu werden, um in Würde zu leben oder leben zu können. Sie sind die übergeordneten Globalziele, die es in der sozialpädagogischen Bildung oder in der Kinder- und Jugendarbeit zu adressieren gilt.[1]

Dass sich die Jugend- und Kinderrechte dem Schutz von Rechten, der Befähigung und der Beteiligung verschrieben haben, sie dabei sogar fast deckungsgleich sind, ist nicht zufällig, denn sie bedingen sich und beziehen sich aufeinander. 

Zu den Dimensionen gehören zum Beispiel auch diese Ziele und Ansätze, die sie untersetzen sollen: Ein Abbau von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, keine (stereotypen, rassistischen …) Pauschalisierungen, eine Ablehnung autoritärer Herrschaft und Ähnlichem. Daher entsteht die Notwendigkeit in der (jugendverbandlichen) Bildung, diese Ziele zu verfolgen bzw. ihnen zu begegnen, sie zu bekämpfen und über diese aufzuklären und sich von Vorurteilen, Abwertungen, Ausgrenzungen, Diskriminierungen und Gewalt zu befreien. 

Nun gilt es diese Ziele, die den Dimensionen innewohnen, verbandlich in den Jugendfeuerwehren zu etablieren, damit Menschenrechte, Demokratie und Befähigungsansatz (Capability Approach) vermittelt, gelernt, verstanden und gelebt oder erreicht werden.

Art und Weise - Grundsätzliche Kategorien des Vorgehens 

Die Mittel, die zur Verfügung stehen, das grundsätzliche Vorgehen oder die Art und Weise der verbandlichen Jugendarbeit sind die Kategorien Freiwilligkeit, Partizipation, Anerkennung und (sozialpädagogische) Bildung. Denn sie teilen die globale Zielsetzung, da sie offen, gleich und gerecht sind. Eine Verbindung der Ziele der Dimensionen mit geeigneten, grundsätzlichen, methodischen Bildungsansätzen ist in der Jugendverbandsarbeit und der Jugendfeuerwehr herzuleiten und herzustellen. 

So wie sich die Dimensionen überlappen und bedingen, ist dies letztlich auch bei den Vorgehensweisen.

Freiwilligkeit (als Kategoire)

Alles, was Kinder und Jugendliche als Mitglieder in der Feuerwehr machen, erfolgt auf der Basis von Freiwilligkeit. Sie engagieren sich freiwillig in der Feuerwehr und möchten etwas über die Feuerwehr lernen, erfahren und selbst ausprobieren. Darüber hinaus sollte die Feuerwehr Freiräume für allgemeine Jugendarbeit und Persönlichkeitsentwicklung bereitstellen und die Prozesse, die durch Selbstbestimmung und -organisation geprägt sein sollten, begleiten. Die Feuerwehr macht Angebote, die freiwillig wahrgenommen werden bzw. noch weitgehender macht die Feuerwehr Angebote, in denen sich die Kinder und Jugendlichen freiwillig, selbstbestimmt organisieren und ihre Anliegen festlegen und ihre Interessen artikulieren, ihre eigenen Erfahrungen machen können. 

Partizipation (als Kategoire)

Entscheidend ist, dass Kinder und Jugendliche in den Freiräumen schrittweise an Selbstbestimmung und -organisation herangeführt werden. Angelehnt an das Stufenmodell der Beteiligung lernen sie, dieses Ziel zu erreichen. Hier ist die Einflussnahme der Erwachsenen / der Betreuenden aufgehoben. Sie sind jetzt in der Rolle zu begleiten, zu unterstützen, falls dies nötig und gewünscht ist. Letztlich geht es darum, dass die Kinder und Jugendlichen selbst ein Thema, eine Fragestellung finden oder Vorhaben initiieren und mit eigenen Vorstellungen in der von ihnen gewählten Art und Weise umsetzen. 

Exkurs: Neun Stufen der Partizipation – kurz erklärt

Die Möglichkeit, bei Entscheidungen mitzuwirken, wird Beteiligung genannt – der Fachausdruck hierfür ist Partizipation. Sie ist ein wesentliches Merkmal einer Demokratie. Demokratische Bildung und Jugendverbandsarbeit müssen deshalb immer auch die Beteiligung junger Menschen im Blick haben. Was Demokratie ist und wie sie funktioniert, kann am besten durch eigenes Handeln erfahren und vermittelt werden, in dem Eigenerfahrung und Selbstwirksamkeit bei Entscheidungsfindungen entstehen. Die Aufgabe von Gruppen- und Jugendleitenden ist es, fortwährende Beteiligung zu ermöglichen und für junge Menschen Demokratie verstehbar, anwendbar und erlebbar zu machen.

Beteiligung kann auf unterschiedlichen Wegen oder Arten sowie mit einer unterschiedlichen Dimension oder Stärke von Partizipation stattfinden. Die sogenannte Partizipationspyramide nach Roger Hart (1992) und Wolfgang Gernert (1993) unterscheidet neun Stufen der Partizipation:

  1. Fremdbestimmung
    Kinder und Jugendliche werden hier nicht beteiligt, sondern manipuliert.
    Beispiel: Einem Jugendclub wurden finanzielle Mittel gestrichen. Dadurch ist ihre Jugendarbeit nicht mehr so umsetzbar, wie die Kinder und Jugendlichen es bisher gewohnt sind. Die Mitarbeitenden des Jugendclubs wollen dagegen demonstrieren. Damit es wirksamer ist, nehmen sie auch Kinder und Jugendliche zu dieser Demonstration mit. Sie tragen Plakate, die ihnen von den Organisatorinnen und Organisatoren vorbereitet wurden. Die Kinder und Jugendlichen wurden im Vorfeld nicht über den Grund der Demonstration und über die Aussagen auf den Plakaten informiert.
  2. Dekoration
    Kinder und Jugendliche wirken auf einer Veranstaltung mit, ohne genau zu wissen, warum sie das tun oder worum es eigentlich geht.
    Beispiel: Ein Träger hat sich dazu entschieden, ein Sommerfest für ehrenamtliche Jugendleitende zu organisieren. Für das Rahmenprogramm werden Kinder und Jugendliche damit beauftragt, einen Tanz aufzuführen und damit die Gäste zu unterhalten. Nach dem Auftritt gehen sie wieder. Den Tanzenden wurde vorher nicht gesagt, warum sie einen Tanz vorbereiten sollen.
  3. Alibi-Teilhabe
    Kinder und Jugendliche nehmen an Entscheidungsrunden teil, haben aber nur scheinbar eine Stimme mit Wirkung.
    Beispiel: Im Terminkalender des Vorstands steht eine Vorstandssitzung. Eine wichtige vorstandsinterne Entscheidung steht an. Der Vorstand bittet im Vorfeld, ausgewählte jugendliche Vertreterinnen und -vertreter zu einer schriftlichen Äußerung zu diesem Thema. Ihre Äußerungen werden durch den Vorstand ggf. gelesen.
  4. Teilhabe
    Kinder und Jugendliche können ein gewisses sporadisches Engagement der Beteiligung zeigen (ähnlich wie in Punkt 3, nur mit erweiterten Teilhabemöglichkeiten).
    Beispiel: Im Terminkalender eines Trägervorstands steht eine Vorstandssitzung. Eine wichtige vorstandsinterne Entscheidung steht an. Der Vorstand bittet ausgewählte Jugendliche, an dieser Sitzung teilzunehmen. Die Jugendlichen können hierbei selbstständig entscheiden, ob sie an der Veranstaltung teilnehmen und ihre Position vortragen und dafür werben bzw. sie begründen.
  5. Zugewiesen, aber informiert
    Ein Projekt wurde zwar von Erwachsenen vorbereitet, die Kinder und Jugendlichen sind jedoch gut informiert. Sie verstehen, worum es geht und wissen, was sie bewirken wollen.
    Beispiel: Eine Ferienfreizeit hat das Thema „Nachhaltigkeit“. Die Betreuenden haben die Woche geplant, alle notwendigen Materialien besorgt und mit den Kindern und Jugendlichen über das Thema gesprochen. Die Teilnehmenden dürfen kreativ sein und während dieser Woche beispielsweise aus den übriggebliebenen Verpackungsmaterialien neue Dinge bauen, um sie (bei der Abholung) ihren Eltern zu präsentieren. Ob sie diese Aktion oder lieber eine andere durchgeführt hätten, stand nicht als Entscheidung der jungen Menschen an.
  6. Mitwirkung
    Kinder und Jugendliche können indirekt Einfluss auf Entscheidungen nehmen, indem sie durch Interviews oder Fragebögen miteinbezogen werden. Bei der konkreten Planung und Realisierung einer Maßnahme werden Kinder und Jugendliche angehört und befragt, haben jedoch keine Entscheidungskraft.
    Beispiel: Ein ortsansässiger Jugendverband möchte dazu beitragen, das Wohnviertel kind- und jugendgerechter zu gestalten. Damit die möglichen Änderungen auch den Vorstellungen der Kinder und Jugendlichen entsprechen, richten sie einmal pro Woche eine Jugendsprechstunde ein, in der sie ihre Vorstellungen malen und erklären können. Außerdem gibt es digitale Fragebögen, mit denen zusätzlich der entsprechende Bedarf erfasst werden kann. Die Kinder und Jugendlichen selbst sind also nicht direkt in die Entscheidung, welche Umgestaltungsmaßnahmen realisiert werden sollen, eingebunden, ihre Ideen können so aber miteinbezogen werden.
  7. Mitbestimmung
    Kinder und Jugendliche werden tatsächlich bei Entscheidungen miteinbezogen. Die Idee des Projekts kommt hier von Erwachsenen, alle Entscheidungen werden aber gemeinsam und demokratisch mit den Kindern und Jugendlichen getroffen.
    Beispiel: Im Rahmen einer Wohnviertelumgestaltung nimmt der Stadtrat Kontakt zu einem ortsansässigen Jugendclub auf. Hier wählen die Jugendlichen Vertreterinnen und Vertreter, die in dem entsprechenden Gremium gemeinsam mit den Stadtratsmitgliedern Pläne für die Umgestaltung entwerfen und den Prozess bis zum erfolgreichen Abschluss zusammen demokratisch begleiten und mitentscheiden.
  8. Selbstbestimmung
    Ein Projekt wird von Kindern und Jugendlichen selbst initiiert. Diese Eigeninitiative wird von engagierten Erwachsenen unterstützt oder gefördert. Die Entscheidungen treffen die Kinder und Jugendlichen selbst. Erwachsene werden ggf. beteiligt und tragen die Entscheidungen mit.
    Beispiel: Während eines Ferienlagers haben die Kinder und Jugendlichen beschlossen, für den letzten Abend eine Abschlussfeier auf die Beine zu stellen. Sie setzen die erwachsenen Betreuenden über ihr Vorhaben (Ablaufplan, Inhalte etc.) in Kenntnis, bitten ggf. um Unterstützung in von ihnen vorgegebenen Bereichen.
  9. Selbstverwaltung
    Kinder und Jugendliche haben völlige Entscheidungsfreiheit über das Ob und Wie eines Angebots und handeln aus eigener Motivation. Entscheidungen werden den Erwachsenen lediglich mitgeteilt. Diese höchste Form der Partizipation finden wir bestenfalls in einem Jugendverband wieder. Die Zielsetzung und die Wege, wie diese erreicht wird, werden von den Kindern und Jugendlichen selbst getroffen. Sie entscheiden, welche Ideen sie haben, planen, angehen und eigenverantwortlich umsetzen. Dazu wurden sie befähigt und erhielten ggf. Unterstützung.
    Beispiel: Alle Ideen stammen von den Kindern und Jugendlichen und sie setzen sie selbstbestimmt und selbstorganisiert um.

Qualität und Wirkung von Partizipation abhängig von den Stufen

In den ersten drei Stufen findet keine Partizipation statt. In den nächsten beiden folgenden Stufen handelt es sich um Vorstufen der Partizipation, da sie junge Menschen zwar einbeziehen, ihre Meinungen aber nicht berücksichtigt werden müssen und Kinder und Jugendliche keine Entscheidung treffen (dürfen).

Ab der sechsten Stufe findet Partizipation tatsächlich statt, weil junge Menschen hier (mit)entscheiden können. Somit unterscheiden sich die Formen der Partizipation und Teilhabe hinsichtlich ihrer Qualität und Wirkung. Nicht in jedem Fall ist die höchste Stufe der Partizipation erreichbar, jedoch immer anzustreben.

Reflexion und Weiterentwicklung der Mitbestimmung

An erster Stelle gilt es, das eigene Selbstverständnis zu reflektieren. Welche Vorstellungen bestimmen mein eigenes Handeln? Welche Entscheidungsrechte gestehe ich Kindern bzw. Jugendlichen zu? Welche Anforderungen stellt Partizipation an mich als Jugendleiterin oder Jugendleiter? Innerhalb des Betreuungsteams kann es unterschiedliche Positionen zur Partizipation in der jeweiligen konkreten Situation geben. Durch das gemeinsame Gespräch und die Klärung der unterschiedlichen Haltungen können sich die Teams fachlich und vor allem im Sinne der Kinder und Jugendlichen weiterentwickeln. Besonders die gelingende und dauerhafte Verankerung von Partizipationsstrukturen sollte hierbei im Vordergrund stehen, denn dies trägt wesentlich zur Persönlichkeitsentwicklung bei und ist gesetzlicher Auftrag von Jugendverbänden.

Weitere Informationen zur Beteiligung und Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen ist unter dem Kapitel Werte zu finden!

Anerkennung (als Kategoire)

Eine grundlegende Rolle in der Entwicklung von Subjektivität nimmt soziale Anerkennung ein: Die/Der Einzelne ist auf die Anerkennung durch bedeutsame Andere angewiesen. Jugend kann aufgrund der Entwicklungsbedürfnisse und aufgrund der in die Jugendphase gesellschaftlich eingelagerten Widersprüche als eine Lebensphase beschrieben werden, in der das Ringen um Anerkennung und Selbstachtung zentral ist. Dies steht in enger Beziehung mit Selbstbewusstsein als das menschliche Vermögen, sich selbst zum Gegenstand distanzierender Betrachtung zu machen. Selbstbewusstsein begründet somit Willensfreiheit. Selbstbestimmung als das Recht und die Fähigkeit, das eigene Leben bewusst zu gestalten, setzt nicht nur Selbstachtung und Selbstbewusstsein voraus, sondern auch die Ausstattung mit den erforderlichen Bedingungen in politischer, sozialer, kultureller und materieller Hinsicht.[2]

„Nur wenn wir die Erfahrung machen, dass unsere besonderen Eigenschaften, das, was uns als Person ausmacht, sozial anerkannt und respektiert wird, können wir auch uns selbst als Personen erkennen und achten, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen entwickeln.“[3]

„Anerkennung erfolgt durch macht- und herrschaftsfreie Verhältnisse. Ein Trainer erhält die Anerkennung nicht, weil er Trainer ist, sondern weil er ein guter Trainer ist, der erfolgreich Spieler trainiert. Eigentlich noch mehr erhält der Trainer als Person / als Mensch Anerkennung. Jeder Mensch hat dieses Recht auf Anerkennung seiner selbst (Würde des Menschen / Menschenrechte). Alle Individuen können von allen erwarten, als menschliche Subjekte in ihrer Besonderheit und Einzigartigkeit anerkannt zu werden.“[4] Gruppenbeschreibungen, -zuschreibungen oder -klassifizierungen begrenzen allzu oft die individuelle Anerkennungsfähigkeit als einzelne Person. Ein verallgemeinerndes und pauschalisierendes Denken führt zu schnell und leicht zu Ausgrenzung, Diskriminierung oder zu dem Versuch, Herrschaft zu legitimieren. Beispielsweise ist im rassistischen Denken die volle Menschlichkeit der jeweiligen Herrenrasse vorbehalten, die nach vermeintlich natürlichen oder kulturellen Eigenschaften von den jeweils minderwertigen anderen sogenannten Rassen unterschieden wird. Ein Konstrukt, was Herrschaft zementiert und unumgänglich darstellen will. So wird und ist Anerkennung ein knappes Gut! Darum muss in der Kinder- und Jugendarbeit viel Wert auf Anerkennung gelegt werden. Somit wird dies auch anschlussfähig an die Anerkennung der Vielfalt.

Während Kinder und Jugendliche aufwachsen, ihre Orientierungen suchen, sich Fähigkeiten und Kompetenzen aneignen, ihren Charakter ausbilden, wird ihre soziale Wertschätzung von anderen und sich selbst in Frage gestellt. Darum ist das Ringen um Anerkennung und Selbstachtung bei jungen Menschen so zentral ausgeprägt.

Jugendliche experimentieren, probieren sich aus und schnell werden aus „Hobbys“ Lebensentwürfe. Doch dabei wird die Frage nach Identität aufgeworfen, für sich selbst, ob dies ein akzeptabler und sozial anerkennungsfähiger Lebensentwurf aus der Sicht anderer (Peer/Eltern …) ist.

In der Jugendarbeit brauchen die Betreuenden die Kompetenz der Sensibilität und beachten / achten darauf, dass das, was Jugendliche jeweils konkret tun, immer das Problem der Anerkennung des ganzen Lebensentwurfs mit aufwerfen kann. Es geht darum, als Betreuende einen sensiblen und akzeptierenden Umgang mit den Versuchen der Jugendlichen zu haben, ihre Identität positiv zu bestimmen, Selbstachtung und soziale Wertschätzung zu erlangen.[5]

Sozialpädagogische Bildung (als Kategoire)

Der Begriff der „sozialpädagogischen Bildung für die Kinder- und Jugendarbeit“ nach Lindner[6]  bündelt einerseits viele Bildungspraktiken wie Spielepädagogik, technische Bildung, erlebnispädagogische Bildung, Medienbildung, Demokratiebildung und viele andere mehr. Andererseits setzt er auf ein Bildungsverständnis, das mehr meint als die Ergänzung zur Schule, die „außerschulische Bildung“. Im Gegenteil bedeutet sozialpädagogische Bildung in der Kinder- und Jugendarbeit oder im Jugendverband etwas Eigenständiges, Wertvolles, Positives und letztlich Anderes (aber unabhängig von Schule). Lindner fasst dazu folgende Qualitätskriterien zur sozialpädagogischen Bildung in der Kinder- und Jugendarbeit zusammen:

  • „… umfasst das gesamte Spektrum formaler, nonformaler und informell-selbstorganisierter Bildungsarrangements von Gelegenheitsstrukturen (die auch Freiräume beinhalten), wobei ein Schwerpunkt auf der nonformalen Bildung im Sinne sozialpädagogisch inszenierter Angebotsformen und Möglichkeitszonen liegt,
  • stützt sich auf Freiwilligkeit, Pluralität sowie flexible Settings und Arrangements,
  • basiert auf der vorbehaltlosen Anerkennung ihrer Adressatinnen und Adressaten als Kind oder Jugendliche in lebensweltlichen und gesellschaftlichen Kontexten,
  • folgt den querschnittsbezogenen Strukturmerkmalen von Demokratie, Mitbestimmung und Partizipation,
  • agiert in den pädagogischen Bezügen eher partnerschaftlich als hierarchisch,
  • handelt im Modus offener Aushandlung und Wahrnehmung vielfältiger Bildungsthemen und -anlässe unter Einbezug aller aisthetischen [sinnlichen Wahrnehmung] Dimensionen (von der Körper- bis hin zur Mediendimension),
  • folgt einer gegenwartsbezogenen Prozessorientierung mit Fokus auf multimodalen Aneignungen,
  • ist strukturiert im Modus von Experiment, Flexibilität, Spontanität und loser Kopplung,
  • ist organisiert in variable individuelle und gruppenbezogene Formate mit offenen Feedbackkulturen,
  • ist begründet zunächst in lokalen sozialräumlichen Bezügen, die aber auch zu mobilen, regionalen bis hin zu internationalen Aktivitäten erweitert und kombiniert werden können,
  • zielt auf einen Zuwachs an Gestaltungsoptionen der Selbst- und Welttransformation im Horizont von Mündigkeit, die auch eine spezifische Lesart von „Lebenskunst“ beinhaltet,
  • ist politisch orientiert an Zugehörigkeit, Menschenrechten, den ‚Capabilities‘ und der Bearbeitung / dem Ausgleich von sozialer Ungerechtigkeit.“[7]

Darüber hinaus erfolgt ein wesentlicher Impuls, der aus den dekonstruktiven bzw. (post)strukturalistischen Theorien stammt. In der Kinder- und Jugendarbeit ist die „Subjektorientierung“ wesentlich und wird als Grundbegriff pädagogischen Handelns weiterverwendet. Allerdings werden dessen bisherige Grundannahmen modifiziert und neuere Impulse philosophisch-pädagogischen Denkens prüfend einbezogen. Was heißt das nun?

Die Kinder- und Jugendarbeit setzte bisher oft ein normativ-idealistisches Fortschrittsdenken voraus mit der Zentralstellung des Subjekts und der Erwartung der Emanzipation von Individuum und Gesellschaft. Dies mögen die Erwartungen der Erwachsenen sein, doch ist der Freiraum, auch andere Utopien zu verfolgen oder auch sich bloß anzupassen, möglich. Es geht um Kontingenz. „Im Gegensatz zum Notwendigen meint die Kontingenz die Möglichkeit, dass etwas eintritt oder eben nicht eintritt, oder dass es ganz grundsätzlich anders sein könnte, als es ist.“

Zugleich lösen wir die Dichotomien (Schwarz-Weiß-Denken / nur zweigliedrig [ohne Grautöne]) auf. Es gibt mehr als Jung & Alt, Schön & Hässlich, als Demokratisch & Undemokratisch.

Wir lösen die normativen Erwartungshaltungen an die Gestaltung der Kinder- und Jugendarbeit ab. Wir wollen möglichst Autonomie erreichen, doch der Kontext ist geprägt von Abhängigkeiten, Macht oder gesellschaftlichen Grenzen, die die Selbstbestimmung und Mündigkeit der Kinder und Jugendlichen beschneiden. Die Bildungsarbeit in der Jugendfeuerwehr und sozialpädagogische Bildung sind faktisch ungeplanter, überraschender und unvorhersehbarer. Auch das meint Freiräume und Selbstbestimmung bzw. -organisation.[8]

Mitbestimmung und Selbstbestimmung als gesetzlicher Auftrag

Der Artikel 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland sagt aus, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Die Würde zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft sind die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte.  

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie im Grundgesetz (Art. 1–19 GG) steht unter anderem, dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind. Auch die Jugendverbandsarbeit oder die Kinder- und Jugendarbeit der Feuerwehren stehen hier in der Pflicht, doch zugleich ist es Anspruch der Feuerwehren, dafür zu sorgen und so zu handeln.  

Ableiten lässt sich daraus, dass alle Menschen, auch Kinder und Jugendliche, voll oder teilweise über sich selbst bestimmen (können). Unser Auftrag ist folglich, Jugend- und Kinderrechte zu achten und aktiv dazu beizutragen, dass Jugend- und Kindeswohl gewährleistet wird. Darum schützen, befähigen und beteiligen wir sie.  

Selbstbestimmung ist jedoch immer in soziale und gesellschaftliche Verhältnisse eingebunden. Die Freiheit zur Selbstbestimmung muss mit der Freiheit der anderen Gesellschaftsmitglieder abgeglichen und manchmal ausgehandelt werden. Selbstbestimmung in der Gesellschaft, in einem Jugendverband oder in der Jugendfeuerwehr zu realisieren, wird deshalb meist über Mitbestimmung versucht und organisiert.  

Das Grundgesetz regelt deshalb im Weiteren die demokratischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf Mitentscheidung oder Beteiligung – auch für Kinder und Jugendliche.   

Es muss das oberste Handlungsprinzip der Kinder- und Jugendhilfe sein, die Rechte der Kinder und Jugendlichen auf Selbstbestimmung des eigenen Lebens und auf demokratische Mitentscheidung zu schätzen und deren Wahrnehmung durch die Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten.  

Was heißt das konkret? 

Kinder und Jugendliche sind zu schützen. Aufgaben sind hier die Förderung bestmöglicher Gesundheit, soziale Sicherung, Erziehung, Bildung und Freizeit, aber auch die Aufgaben des Schutzes vor Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung und insgesamt der Schutz vor Gefährdung des Kindeswohls.  

Um den Rechten von Kindern und Jugendlichen bei der bindenden UN-Kinderrechtskonvention gerecht zu werden, müssen diese Schutzziele berücksichtigt sein. Doch das Wohl der Kinder und Jugendlichen ist umfassend nur erreichbar, wenn auch immer die Rechte auf Förderung bzw. Befähigung sowie die Rechte auf Selbstbestimmung und Mitbestimmung durch die Kinder- und Jugendarbeit realisiert, angestrebt, anerkannt, gewährleistet und gelebt werden (siehe UN-KRK).  

Die Grundgedanken aus der Selbstbestimmung und Teilhabegerechtigkeit sind auch im Sozialgesetzbuch (SGB VIII) fest verankert: Kinder und junge Menschen bis 27 Jahre haben das verbriefte Recht „auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“. Die Jugendhilfe und somit auch die Jugendverbandsarbeit selbst hat den gesetzlichen Auftrag, Kindern und Jugendlichen zu „ermöglichen oder erleichtern, entsprechend ihrem Alter und ihrer individuellen Fähigkeiten in allen sie betreffenden Lebensbereichen selbstbestimmt zu interagieren und damit gleichberechtigt am Leben in der Gesellschaft teilhaben zu können“ (SGB VIII § 1).

Hier erfahrt Ihr mehr: jugendhilfeportal.de 

„(1) Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen. Dabei sollen die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der Angebote für junge Menschen mit Behinderungen sichergestellt werden.“ (SGB VIII § 11)  

Vom Gesetzesrahmen zur Unterstützung der Jugendämter vor Ort 

Normativ ist diese selbstbestimmte und selbstorganisierte Persönlichkeitsentwicklung durch das SGB VIII gesetzlich bestimmt. Weiteres regeln die Ausführungsgesetze der Länder.  

Die inhaltliche Ausrichtung ist damit eigentlich sichergestellt, doch eine finanzielle Ausstattung damit noch nicht garantiert, ganz zu schweigen von der kommunalen Ebene. Leider leiten Kommunen allzu oft Bildungsmaßnahmen in der Kinder- und Jugendarbeit quantitativ statt qualitativ ab. Es werden die Teilnehmendenanzahl oder Teilnahmestunden gezählt, wenig die Qualität hinsichtlich der Ziele, Inhalte und Methoden beachtet. Hier hat das Jugendamt viel stärker auf die Freiräume und Globalziele einzuwirken. Das Jugendamt ist somit Ansprechpartner und die Jugendpflegerinnen und Jugendpfleger unterstützen die Kinder- und Jugendarbeit auch in der Jugendfeuerwehr.  

Bildungsdefinition des DBJR 

Auch der Deutsche Bundesjugendring (DBJR-Position 65) teilt weitgehend diese Auffassungen: „Bildungsverständnis der Jugendverbände: Bildung ist der umfassende Prozess der Entwicklung und Entfaltung derjenigen Fähigkeiten, die Menschen in die Lage versetzen, zu lernen, ihre Potenziale zu entwickeln, zu handeln, Probleme zu lösen und Beziehungen zu gestalten. Es ist ein Prozess der selbstbestimmten Emanzipation, der auf die Entfaltung von Urteils-, Analyse- und Kritikfähigkeit abzielt.“

Linktipps zu Beteiligungsstandards von Kindern und Jugendlichen

Unser Auftrag: Freiräume bieten

Kinder- und Jugendarbeit (nicht nur in der Feuerwehr) ist institutionell verankert. Neben dem gesetzlichen Auftrag ist der intentionelle Rahmen durch den eigenen Verband gegeben. Zudem beschreiben Dachverbände, was Kinder- und Jugendarbeit ist oder ausmacht.[9]

Auch die Kinder- und Jugendarbeit in den Feuerwehren soll Kindern und Jugendlichen selbst gestaltbare / auslotbare Erfahrungsräume bieten, in denen Erwachsene mit ihren Erwartungen möglichst nicht die Orientierung vorgeben. Zudem herrscht eine Lernkultur vor, die auf die Erfahrungen des alltäglichen Lebens der Kinder und Jugendlichen setzt und nachhaltig zur freien Persönlichkeitsentfaltung und -entwicklung beiträgt.[10]

Im Gegensatz zur Schule, in der meist nur formelle Bildung erfolgt, ist das Angebot in der Jugendorganisation freiwillig. Es ist ein Freiraum, in dem Gleichaltrige (ihre) Lebenswelten gestalten können. Kinder und Jugendliche gestalten (sich) den/ihren Nahraum (wie bspw. Jugendfeuerwehr oder die Kommune [Stichwort Spielstraße, Spielplatz …]), in dem sie sich ausprobieren und dafür Verantwortung übernehmen, selbst.[11]

Die Kinder- und Jugendarbeit hat demnach Möglichkeitsräume für die Selbstgestaltung zu schaffen und die allgemeinen Interessen von Erwachsenen, Gesellschaft oder Politik außen vor zu lassen. Ist sie dennoch „fremdgesteuert“ durch Erwachsene, verliert sie die Bedeutung für die Jugendphase (wie die „Abnabelung“ oder das Selbständigwerden), verliert aber auch deutlich an Attraktivität für die Kinder und Jugendlichen, sich zu engagieren. Der Einfluss von Erwachsenen höhlt leicht die Funktion, in der sich Kinder oder Jugendliche selbstbestimmt und selbstorganisiert in den durch die Kinder- und Jugendarbeit gegebenen Räumen ausprobieren und entfalten, aus.[12]

Fest steht, dass sich Kinder und Jugendliche und eigentlich auch die Kinder- und Jugendarbeit mit ihren Jugendleitenden diese Möglichkeitsräume allzu oft immer wieder erarbeiten und erkämpfen müssen.[13] Dies ist in der (Jugend-)Feuerwehr sicher nicht leichter, weil es hier Leitungshierarchien gibt und traditionell oft ein verengtes Verständnis von Jugendverbandsarbeit oder Bildung bzw. Persönlichkeitsentwicklung dahingehend vorherrscht, welchen Spielraum Kinder und Jugendliche bekommen oder haben. Doch es gibt den gesetzlichen Auftrag, diese Möglichkeitsräume zu gewährleisten. Die gesellschaftliche und jugendpolitische Aufgabe ist es, „Jugend in und durch Jugendarbeit [zu] ermöglichen“![14] Dieser Konsens muss immer wieder erneut mit allen Akteurinnen und Akteuren der Jugendverbandsarbeit erinnert und gefunden werden.

Solche selbstbestimmt gestaltbaren Freiräume stehen als Alleinstellungsmerkmale der Jugendverbandsarbeit, doch noch mehr für Qualitätsmerkmale. Kinder- und Jugendarbeit ist nach dem Anspruch nur in Freiräumen möglich. Diese Ermöglichungsräume leisten den Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung, um erwachsen zu werden und an der demokratischen Gesellschaft teilhaben zu können. Unter dem Kindeswohlaspekt tragen die Freiräume mit den Säulen Schutz, Förderung und Beteiligung dazu bei, mündige Bürgerinnen und Bürger zu bilden. Freiräume stehen auch für Emanzipation und Legitimation. Die Kinder und Jugendlichen bringen ihre Perspektiven ein und aus ihrer Sicht werden Themen, Methoden und Inhalte gesucht und angegangen, die sie für wichtig halten und interessant finden. Das ist der Selbstzweck! Eine Verzweckung durch die Erwachsenen, die Politik oder den Verband ist nicht das Ziel, ist nicht zielführend und gefährdet die selbstbestimmte Persönlichkeitsentwicklung. Die gesetzlichen Leitplanken bleiben bestehen und sind von der Selbstbestimmung und Selbstorganisation unberührt. Selbstverständlich haben damit Selbstbestimmung und -organisation ihre gesetzlichen Begrenzungen, denn beispielsweise verbietet das Jugendschutzgesetz oder Strafgesetzbuch einiges und die Aufsichtspflicht bleibt bestehen, um Unfälle zu vermeiden.

In der Summe steht die (Jugend-)Feuerwehr dennoch mit ihrer Kinder- und Jugendarbeit vor der Herausforderung, diese Freiräume zuzulassen, zu schaffen und zugleich zu begleiten und zu unterstützen.

„Freiraum“ – Was damit gemeint ist in Kürze:

  • Ort der eigenen Entfaltung der Kinder und Jugendlichen[15]
  • Individueller Entlastungsraum
  • Eigene Identität und Persönlichkeit zu hinterfragen und zu entwickeln
  • Ort der relativen Freiheit und Autonomie
  • Abwesenheit von Zwang, gesetztem Zweck, Pflicht
  • Der Ort, an dem „der Sinn aus der Perspektive des/der Handelnden selbst bestimmt, verändert und entwickelt werden kann“[16]
  • Raum zum Ausprobieren und um Fehler zu begehen

Kinder- und Jugendarbeit hat drei Funktionen inne: die Interessenvertretung, Anwaltsfunktion und die Unterstützungsfunktion.[17] Dies ist verbunden mit den bzw. erfolgt in den Dimensionen von Menschenrechten (Jugend- und Kinderrechte), Demokratie (Beteiligung, Mitbestimmung, Selbstorganisation) und Befähigung (Fertigkeiten/Kompetenzen erlernen, „(Self-)Empowerment“ und Begleitung/Unterstützung). Freiräume (zu ermöglichen) sind dafür die Voraussetzung.

Aus Fehlern lernen 

Diese freien Erfahrungsräume ausgestalten zu können, bedeutet auch, selbst scheitern zu dürfen, wenn nicht sogar zu müssen.

„Gebt den Kindern Gelegenheit, sich selbst zu entdecken … Lasst sie Triumph und Niederlage erleben … Weist ihnen verantwortliche Aufgaben zu, bei denen zu versagen den kleinen Staat gefährden heißt … Übt die Phantasie.“ so Kurt Hahn in Erziehung und die Krise der Demokratie (1986, S. 12).

Ein Lernen aus Fehlern ist möglich und notwendig, insbesondere bei eigenen. Nur eigenes Handeln und eigene Erfahrungen führen die Kinder und Jugendlichen dazu, selbstverantwortlich für sich und andere einzutreten und sich weiterhin freiwillig und mit einer intrinsischen Motivation zu engagieren. 

Herausforderungen oder Einflussnahmen

Warum müssen sich Kinder- und Jugendarbeit bzw. der Freiraum der Kinder und Jugendlichen solchen Herausforderungen oder Einflussnahmen stellen?[18]

Historisch sind Jugendbewegungen schon immer teilweise eine Emanzipationsbewegung gewesen, die bspw. versuchte, sich aus dem Drill des Kaiserreichs zu befreien oder am Aufbau demokratischer Strukturen in der Weimarer Republik bzw. nach dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg beteiligte.[19] Die Jugend galt so als Hoffnungsträger. Doch demgegenüber standen oft die Sorgen von Erwachsenen, die sich um ihre Werte und Lebensleistung fürchteten. Sie glaubten eine Nichtanerkennung ihrer Errungenschaften wahrzunehmen und versuchten daher, Einfluss zu nehmen oder wenigstens sanfte Kontrolle auszuüben. Mit dieser Einflussnahme und Kontrolle auch über die pädagogische Gestaltung der Freiräume soll letztlich die Freiheit in den Räumen der Jugendlichen begrenzt werden und soll so sicherstellen, dass die Jugend das fortführt, was den Erwachsenen wichtig und für sie richtig ist.

Eine andere These stärkt etwas die Freiräume und ist widersprüchlich. Denn eine demokratische und kapitalistisch geprägte Gesellschaft braucht Heranwachsende, die gelernt haben, Verantwortung zu übernehmen, die bereit sind, Entscheidungen zu treffen, die Eigeninitiative entwickeln und mit Fehlschlägen umgehen können. Hier herrscht die Erkenntnis, dass diese Fertigkeiten und Schlüsselqualifikationen nicht in der Schule gelehrt werden können. Dafür eigenen sich Freiräume oder Möglichkeitsräume – insbesondere in der Jugendverbandsarbeit. Doch mit der (sozial)pädagogischen Begleitung oder der Begleitung durch Erwachsene ist die Hoffnung verbunden, Lenkungseinfluss zu behalten. So werden die „Freiräume“ schnell absurd und sind funktional, weil sie für das Weiterbestehen der gesellschaftlichen oder verbandlichen Ordnung benutzt werden, statt Jugendliche „ihr Ding machen zu lassen“.

In einer weiteren These wird die zweckgebundene oder „verzweckte“ Einflussnahme wiederum anders begründet. Freiräume entstehen da, wo Jugendliche selbst „als aktive Subjekte die Gestaltungsverantwortung solcher (Erfahrungs-)Räume wahrnehmen können“ (so der Kinder- und Jugendbericht 2017, S. 423). Das zuzulassen, ist die eine Herausforderung für viele Erwachsene und Jugendleitende. Diese Herausforderung entsteht, weil sich die Erwachsenen einbilden, die Jugendliche bräuchten die Rahmensetzung und die Unterstützung durch sie (möglichst ungefragt). Diese Unterstützung ist ein schmaler Grat und meist doch mit der Einschränkung von Spielräumen der Kinder und Jugendlichen verknüpft.

Mit anderen Worten findet die Kinder- und Jugendarbeit gesellschaftlich in Spannungsbögen statt, die hier schon ersichtlich und dargestellt wurden. Konkret sind vier Spannungsfelder der Kinder- und Jugendarbeit wichtig zu kennen, abgeleitet aus dem Kinder- und Jugendbericht 2017, S. 399 ff.:

  • Offenheit für alle Kinder und Jugendlichen <-> Zielgruppenbezug z. B. aufgrund eines Jugendverbands 
  • Interessen der Kinder und Jugendlichen <-> gesellschaftliche Erwartungen (meist durch Erwachsene) 
  • Selbstorganisation der Kinder und Jugendlichen <-> geprägte Strukturen durch Erwachsene/Verbandsbedingungen 
  • Ehrenamt/Freiwilligkeit der Kinder und Jugendlichen <-> Hauptamt/Verberuflichung 

Jugendverbände sitzen quasi zwischen den Stühlen, ob sie „nur“ gesellschaftlicher Reparaturbetrieb oder Frühwarnsystem oder doch „lediglich“ Ort von Kindern und Jugendlichen sind, aber als Freiraum verstanden werden, den sie selbstbestimmt gestalten.  

Was bedeutet das für die Kinder- und Jugendarbeit in den Feuerwehren? 

Übersetzen wir das für die Feuerwehr: Wer entscheidet über die Aufnahme in die Gruppe? Wie ist der Umgang dann bei Diskriminierung, die natürlich nicht erlaubt ist? Was ist mit dem verbandlichen Zweck Nachwuchsgewinnung? Wie groß ist der Freiraum in der sogenannten allgemeinen Jugendarbeit und wie klein bei der feuerwehrtechnischen Ausbildung? Welche Interessen haben Vorrang oder setzen sich durch? Bestimmen die Kinder und Jugendlichen Ziele, Methoden und Inhalte? Organisieren sie sich dazu, um selbstorganisiert Vorhaben umzusetzen bzw. zu erreichen? Kurz: Planen, gestalten sie die Gruppenstunde oder „dürfen“ sie nur Themen benennen/festlegen? Bereiten sie das Zeltlager vor und erarbeiten mit allen Fehlern und Rückschlägen das Programm dazu oder „nehmen das Erwachsene ihnen ab“?

Dies mündet in der allgemeinen Frage: Ist Kinder- und Jugendarbeit gesellschaftlicher Reparaturbetrieb oder selbstbestimmter Ort/Freiraum der Kindheit und Jugend? Auf die Kinder- und Jugendarbeit in den Feuerwehren gemünzt: Ist die Kinder- und Jugendarbeit „reine“ / „nur“ Nachwuchsgewinnung oder doch mehr? Nämlich Jugendarbeit von und für Jugendliche?! 

Quellennachweise


[1] Auf dem 3. Bundeskongress Kinder- und Jugendarbeit vom 20. bis zum 22. September 2021 in Nürnberg referieren Thole, Lindner & Pothmann zum Thema. Grundlage ist ihr Werk: Werner Thole / Jens Pothmann / Werner Lindner: Die Kinder- und Jugendarbeit. Einführung in ein Arbeitsfeld der sozialpädagogischen Bildung. Weinheim/Basel 2021.

[2] Vgl. Scherr (1997), Albert: Subjektorientierte Jugendarbeit – Eine Einführung in die Grundlagen emanzipatorischer Jugendpädagogik. S. 56ff [3] Scherr (1997), S. 56 f., [4] Scheer (1997), S. 58.[5] Scheer (1997), S. 60.

[6] Lindner (2021), Werner: Was ist „sozialpädagogische Bildung“? Anregungen und Konturierungen für die Kinder- und Jugendarbeit (Abdruck in: deutsche jugend – Zeitschrift für die Jugendarbeit, 69. Jg., H. 12/2021, S. 531–540). [7] Lindner, ebenda [8] Lindner, ebenda.

[9] Mike Seckinger vom Deutschen Institut hat auf dem 3. Bundeskongress Kinder- und Jugendarbeit 2021 eine konzeptionelle Orientierung in der Präsentation „Ohne Freiräume keine Jugendarbeit“ zusammengestellt, die vom Autor dieses Textes als Grundlage genutzt und erweitert wurde. Seckinger, Mike (DJI): Vortrag Ohne Freiräume keine Jugendarbeit 3. Bundeskongress Kinder- und Jugendarbeit 2021.

[10] AGJ 2011 – Kinder- und Jugendarbeit unter Gestaltungsdruck. Zur Notwendigkeit, Angebote der Kinder- und Jugendarbeit zu erhalten und weiterzuentwickeln. Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe: „Die Jugendarbeit ist der einzige institutionell gesicherte und staatlich geförderte Ort, an dem Kinder und Jugendliche eigenständig gestaltbare und auslotbare Erfahrungsräume nutzen können, in denen nicht Erwachsene mit ihren Erwartungen Orientierungspunkte bilden und in denen eine Lernkultur vorherrscht, die auf Erfahrungen des alltäglichen Lebens setzt und so nachhaltige Wirkung auf Bildungsprozesse entfaltet.“

[11] Bundesjugendkuratorium 2017, S. 1. Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums: Kinder- und Jugendarbeit stärken! München 2017. [12] Bundesjugendkuratorium 2017, S. 5 f.

[13] Kinder und Jugendbericht 2017, S. 67. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: 15. Kinder- und Jugendbericht – Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Berlin 2017. LINK: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/15-kinder-und-jugendbericht-115440. [14] Kinder und Jugendbericht 2017, S. 72. [15] Kinder- und Jugendbericht 2017, S. 109. [16] Kinder- und Jugendbericht 2017, S. 422.

[17] Neuber, Nils (WWU Münster) auf dem 3. Bundeskongress der Kinder- und Jugendarbeit. Als Bezugsrahmen nennt er u. a. Alrichs 2019, Fauser / Fischer / Münchmeier 2006, Oechler/Schmidt 2014, Riekmann 2011, Voigts 2015

[18] Dies fragt sich Seckinger auf dem 3. Bundeskongress Kinder- und Jugendarbeit 2021 und gibt mit drei Thesen einen Einblick. Seckinger, Mike (DJI): Vortrag Ohne Freiräume keine Jugendarbeit 3. Bundeskongress Kinder- und Jugendarbeit 2021..

[19] Sicher kann hier auch die DDR mitgenannt werden; aufgrund der Parallelität der beiden deutschen Staaten sprengt es aber hier den Rahmen, dies auszuführen.