Bildung als Reproduktionsprozess von Kultur, Gesellschaft und Identität statt Krisen
Die Jugend eignet sich in den Freiräumen Werte neu an, lernt sie anders und definiert sie für sich aufgrund anderslautender Selbst- und Weltbezüge neu. Werte werden sich angeeignet und weiterentwickelt (reproduziert) oder abgelehnt (Krisen).
Es finden so Reproduktionsprozesse auf drei Ebenen statt: kulturelle Reproduktion als kulturelle Bildung, soziale Integration als soziale Bildung und Individuation als Identitätsbildung. Die drei Reproduktionsprozesse werden durch strukturelle Komponenten der Kultur, der Gesellschaft und Persönlichkeit greifbar und verstehbar.
Gelingt kulturelle Übertragung, findet Überlieferung von Tradition statt und es werden legitimierendes Wissen erneuert und Erziehung reproduziert. Das Gegenteil wäre ein kultureller Sinnverlust, gesellschaftlicher Legitimationsentzug bzw. Erziehungskrise.
Funktioniert die soziale Integration, wird ein Kernbestand an Werteorientierung immun gegenüber anderen Werteinflüssen, bleiben Handlungen erwartbar und in der Norm sowie persönliche Muster zur sozialen Zugehörigkeit werden reproduziert. Gelingt keine soziale Bildung, wird die kollektive Identität verunsichert, gibt es Normabweichungen und eine persönliche Entfremdung.
Bei der Entfaltung der eigenen Fähigkeiten und der eigenen Werte (Individuation) kommt es darauf an, als Person in die (eigene) Kultur hineinzuwachsen, (gesellschaftliche) Werte zu übernehmen / zu verinnerlichen sowie seine Persönlichkeit zu entwickeln. Als Krisenerscheinung wären ansonsten ein Brechen mit der Tradition, ein Motivationsverlust und psychische Störungen die Folge.
Das hier Beschriebene wird in der Tabelle dargestellt:
Strukturelle Komponenten Reproduktions-prozesse | Kultur | Gesellschaft | Persönlichkeit |
Kulturelle Reproduktion | Überlieferung, Kritik, Erwerb von kulturellem Wissen (Sinnverlust) | Erneuerung legitimations-wirksamen Wissens (Legitimationsentzug) | Reproduktion von Bildungswissen (Erziehungskrise) |
Soziale Integration | Immunisierung eines Kernbestands von Werteorientierungen (Verunsicherungen der kollektiven Identität) | Koordinierung von Handlungen über anerkannte Geltungsansprüche (Anomie) | Reproduktion von Mustern sozialer Zugehörigkeit (Entfremdung) |
Individuation | Enkulturation (Traditionsverlust) | Wertinternalisierung (Motivationsentzug) | Persönlichkeitsentwicklung (Psychopathologien) |
Bildung hat für den einzelnen Menschen persönliche Auswirkungen, die zugleich die Interaktion mit Kultur und Gesellschaft beeinflussen. Ein Wissen um die Bedeutung von Bildung ist eine Voraussetzung zu verstehen, warum Kinder und Jugendliche sich ausprobieren müssen, um ihre Persönlichkeitsentwicklung ermöglichen zu können. Die Herausforderung ist dabei, diesen Prozess zu begleiten und zu unterstützen, ohne übergriffig zu sein oder zu werden.

- Auf dem 3. Bundeskongress Kinder- und Jugendarbeit vom 20. bis zum 22. September 2021 in Nürnberg referieren Thole, Lindner & Pothmann zum Thema. Grundlage ist ihr Werk: Thole, Werner/Lindner, Werner/Pothmann, Jens (2021): Die Kinder- und Jugendarbeit. Einführung in ein Arbeitsfeld der sozialpädagogische Bildung. Weinheim/Basel: Beltz Juventa